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„Der Pianist aus den Trümmern“ Pressemeldung von Ulrike Schäfer

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Als „Der Pianist aus den Trümmern“ wurde Aeham Ahmad vor Jahren bekannt.

Zu finden in der Wormser Zeitung https://www.wormser-zeitung.de/lokales/worms/nachrichten-worms/der-pianist-aus-den-trummern-spielt-in-worms_19136526 Foto: photoagenten/Alessandro Balzarin

2015 war Aeham Ahmad aus Syrien nach Europa geflüchtet. Heute setzt sich der 30-jährige Musiker weltweit musikalisch und lyrisch für Solidarität und Menschlichkeit ein.

WORMS – Ein Blatt mit der ersten Strophe der von Beethoven vertonten Schiller-Ode „An die Freude“ findet jeder Besucher auf seinem Platz im Dreifaltigkeitssaal. Aeham Ahmad, Star des Abends, eingeladen vom Helferkreis Asyl, hatte 2015 den erstmals verliehenen Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion bekommen, weil er mit seiner Musik in seiner Heimatstadt Damaskus Hoffnung verbreitet habe. Heute setzt er in Tokio, Paris, Rom, Brüssel, Amsterdam, Genf und an vielen weiteren Orten, Zeichen für Menschlichkeit und solidarisches Miteinander: „Ich will mit meiner Musik eine Brücke bauen“, strahlt der quirlige 30-Jährige. An jenem Abend baut er sie in Worms.

Kraftvoll greift er in die Tasten des Flügels, rast in wilden Läufen auf und ab, baut kleine, fast beschwingte Melodien ein, zupft auch mal die Saiten des Instruments und schlägt krachend aufs Holz. Dazu singt er in langgezogenen Tönen Lieder, deren Inhalt sich nur erahnen lässt.

Zwischen diesen musikalischen Explosionen liest Fabio vom Helferkreis Asyl Teile aus Ahmads erstem Buch „Und die Vögel werden singen“, das im Fischer Verlag erschienen ist. Ahmad erzählt darin von seiner Kindheit in Yarmuk, dem riesigen Flüchtlingslager am Stadtrand von Damaskus. Sein blinder Vater, der nie eine Zeile gelesen hat, erwirkt, dass der Sohn an einer Eliteschule Klavier spielen lernt. Nicht immer gefällt es dem Jungen zu üben, und der Vater lässt sich eine Menge einfallen, damit er bei der Stange bleibt. Unter anderem holt er die Fußballfreunde des Sohnes nach Hause, damit Aeham ihnen vorspielt und auch von ihnen Wertschätzung für sein Tun erntet. Aeham spielt den staunenden Jungen „Für Elise“ vor. Die „Elise“ in einer Version, die wohl auch Beethoven Freude bereitet hätte, bekommt das Publikum dann auch prompt zu hören; sie geht über in die „Neunte“, nun dürfen alle mitsingen, erst recht dann bei dem Freiheitslied „Die Gedanken sind frei“.

APPELL

Angelika Wahl, Vorsitzende des Helferkreises Asyl, appelliert an die Besucher, den Aufruf zur Seenot-Rettung für Geflüchtete zu unterschreiben. Er soll dem OB am 3. Dezember übergeben werden.

Ahmad spricht in seinem Buch vom Schrei nach Freiheit, vom zivilen Aufstand gegen Willkür, Folter, Ungerechtigkeit, der 2010 in Tunesien begonnen und sich von dort dominoartig ausgebreitet habe. Die Konsequenz war die Blockade von Yarmuk, es gab keinen Strom, kaum Wasser, die Bevölkerung hungerte, Menschen starben. Dann fielen die Bomben.

Das Foto, auf dem der junge Pianist in den Ruinen von Damaskus Klavier spielt, ging um die Welt. Er habe in dem Lied, das er damals komponiert habe, der „Höllenfahrt in den Abgrund“ eine Melodie geben wollen, sagt er und lässt die Zuhörer auch heute durch seine Musik teilhaben an dem verzweifelten Gefühl seiner Verlorenheit.

Ende 2015 verlässt er schweren Herzens seine Frau und die Söhnchen und macht sich auf den gefährlichen Weg nach Europa. Das überladene Schlauchboot kentert. Weil er dank seines Vaters schwimmen gelernt hat, erreicht er das rettende Ufer. Eindringlich vermittelt er auch dieses dramatische Erlebnis in unruhig-beklemmender Musik.

Ahmads Geschichte geht gut aus. Er wird in Deutschland als Flüchtling anerkannt, sein Talent wird entdeckt und gefördert, er hat bald genug Geld, um seine Verwandten in Syrien zu unterstützen, und endlich, 2016, kann er auch seine Frau und seine Kinder nachholen. Nun will er weitergeben, was er erlebt hat, und sich einsetzen für andere. In einem temperamentvollen englischen Kurzvortrag spricht er von der hoffnungslosen Lage vieler Flüchtlinge, die auf engstem Raum zusammenleben müssen, nicht arbeiten, ihre Familien nicht nachholen dürfen.

Deutschland allein könne nicht helfen, weiß er. Bei allen Konzerten beschwöre er deshalb seine Zuhörer, Menschen in Not aufzunehmen und zu integrieren. Das Publikum im proppenvollen Dreifaltigkeitssaal zeigt ihm mit stehendem Applaus, dass er nicht allein ist mit seiner Meinung.

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